Meryl Streep: Wir haben feinere Antennen
Der Spiegel ·
September 18, 2006
· Written by Lars-Olav Beier
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SPIEGEL: Ms Streep, zu den wichtigsten Fähigkeiten eines Schauspielers gehört Einfühlungsvermögen. Haben Sie je eine Figur dargestellt, der es daran so sehr mangelt wie der Chefredakteurin eines Modemagazins in der Komödie “Der Teufel trägt Prada”, die demnächst in die deutschen Kinos kommt?
Streep: Wohl kaum. In dem Roman, auf dem unser Film basiert, beschreibt Lauren Weisberger ihre Figur Miranda Priestly als eine Art Alleinherrscherin über die Haute Couture. Sie kann bestimmen, was die Menschen rund um den Erdball anziehen, besitzt große Macht über den Alltag von Millionen und hält es für unter ihrer Würde, sich mit den Ansichten anderer überhaupt zu beschäftigen. Viele Männer in Führungspositionen verhalten sich so, und vielleicht muss man das sogar, um den Job gut zu machen. Vielleicht braucht man als Boss eine gewisse Engstirnigkeit. Ich wünschte mir allerdings, es wäre nicht so. Leider haben wir in den USA wenig Erfahrung mit Frauen an der Macht. Bei Ihnen in Deutschland sieht das ja besser aus. Sind Sie mit Ihrer Kanzlerin zufrieden?
SPIEGEL: Die Umfragewerte von Angela Merkel waren schon mal besser, dennoch ist sie nach wie vor beliebt.
Streep: Das freut mich. Denn Angela Merkel wirkt sympathisch und menschlich, eben einfühlsam. Für Männer reicht es oft, respektiert zu werden, um an die Macht zu kommen. Eine Frau, die es bis ganz nach oben schaffen will, muss dagegen nicht nur respektiert, sondern auch gemocht werden, sie muss den Menschen in Augenhöhe begegnen.
SPIEGEL: Damit tut sich Miranda Priestly schwer. Sie vermeidet Blickkontakte weitgehend und lässt andere Menschen so ihre Herablassung spüren. Zeigen Sie den Zuschauern die Tricks der Mächtigen?
Streep: Ich habe für diese Rolle vor allem Männer an der Macht studiert, und die scheren sich meist wenig um Blickkontakte. Denn sie gehen davon aus, dass ohnehin alle Augen auf sie gerichtet sind. Frauen haben da die viel feineren Antennen und ein ausgeprägtes soziales Gespür. Das merkt man schon an den eigenen Kindern, gleich in den ersten Jahren. Mädchen haben ein natürliches Empfinden für die Gefühle und Interessen anderer, Jungs sind da stumpfer. Deshalb gibt es auch Tausende Ratgeber für männliche Führungskräfte. Die brauchen Bücher, wir Frauen nicht.
SPIEGEL: Männer geben ihrer Macht oft durch markige und kräftige Stimmen Ausdruck. Sie dagegen reden in “Der Teufel trägt Prada” ganz leise, hauchen Ihre Sätze eher, statt sie zu sprechen. Macht ist also keine Frage der Lautstärke?
Streep: Ganz im Gegenteil, wer Macht hat, muss nie die Stimme heben. Mein Lehrer an der Schauspielschule hat uns einmal gefragt: Wie spielt man einen König oder eine Königin, worauf kommt es an? Auf die Körperhaltung? Das würdevolle Auftreten? Die Selbstsicherheit? Auf all das, sagte er, vor allem aber auf die Mühelosigkeit. Jeder kann ein König sein, wenn er es schafft, die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sobald er einen Raum betritt, ohne sich anstrengen zu müssen.
SPIEGEL: Im Film gibt es eine Szene, in der Miranda ungeschminkt um Fassung ringt, weil ihre Ehe in die Brüche gegangen ist. Ist der Preis hoch, den die Mächtigen für ihre Macht bezahlen müssen?
Streep: Nichts ist umsonst und Macht schon gar nicht. Diese Szene stand ursprünglich nicht im Drehbuch, doch mir fehlte etwas an dieser Figur. Ich wollte Miranda nicht sympathischer machen, aber das Bild von ihr war für mich unvollständig. Man sieht sie ja fast immer bei der Arbeit, weil sie rund um die Uhr arbeitet. Da spürt man den enormen Erfolgsdruck, unter dem sie steht. Doch ich wollte wenigstens einen winzigen Blick darauf werfen, wie isoliert und einsam sie inmitten des Wirbels ist, der um sie herum herrscht. Wir müssen sie dafür nicht bemitleiden, sollten uns dessen aber bewusst
sein.
SPIEGEL: Die Modemacher in “Der Teufel trägt Prada” sind überzeugt davon, den Menschen mit Kleidung nicht nur zu Glück und Erfolg zu verhelfen, sondern auch ihre Persönlichkeit verändern zu können. Hatten Sie in Ihrer Karriere je ein Kostüm, das Ihnen half, ganz und gar in die Haut Ihrer Figur zu schlüpfen?
Streep: O ja, der Hut, den ich 1987 in dem Film “Wolfsmilch” trug. Er erinnerte mich an den Hut meiner Großmutter. Im Film wirkt er wie ein Schirm, unter dem meine Figur Schutz sucht vor den Härten des Lebens. Die Frau, die ich in “Wolfsmilch” spiele, ist obdachlos, krank und alkoholabhängig, und wer sie mit diesem Hut sieht, spürt auf den ersten Blick ihre Verzweiflung. Aber ist das nicht seltsam? Dieser Hut ist das genaue Gegenteil eines Kleidungsstücks, das einen erfolgreichen, glücklichen Menschen ziert.
SPIEGEL: Vor zwei Jahren haben Sie in dem Polit-Thriller “The Manchurian Candidate” eine Senatorin gespielt, nun sind Sie als Modezarin zu sehen, in der Komödie “First Man” sollen Sie bald eine Präsidentschaftskandidatin darstellen. Betreiben Sie Studien weiblicher Macht?
Streep: Nein, das hat sich eher zufällig so ergeben. Das Drehbuch zu dem Film “First Man”, in dem Robert De Niro meinen Ehemann spielen soll, ist immer noch in der Entwicklung; wer weiß, was daraus wird. Über meine eigene Karriere habe ich nicht viel Macht. Da ich keine Drehbücher schreibe, kann ich nur aus den Rollen wählen, die mir angeboten werden. Also bin ich immer noch das Mädchen, das auf dem Abschlussball sehnsüchtig darauf wartet, zum Tanz aufgefordert zu werden.